58

Mit starrem Gesicht nahm Richard Nordeschenko die Karten vom Tisch. Zwei Dreier. Der Spieler ihm gegenüber in schwarzem Hemd und Kaschmirjackett, dessen gut aussehender Begleiter ihm über die Schulter blickte, warf zweitausend Dollar in den Pot. Ein weiterer Spieler nach ihm erhöhte.

Nordeschenko beschloss mitzugehen. Er war an diesem Abend spitze. Ganz eindeutig. Morgen begann seine Arbeit. Dies würde sein letztes Spiel sein, egal, ob er gewann oder verlor.

Der Geber drehte drei Karten um: eine Zwei, eine Kreuz-Neun und eine Vier. Keine Verbesserung – wahrscheinlich für niemanden. Kaschmirjackett zwinkerte seinem Freund zu. Er hatte schon den ganzen Abend den Pot hin und her geschoben. »Viertausend.« Nordeschenko vermutete, er würde mit vier Kreuzen auf einen Flush spielen.

Doch zu seiner Überraschung erhöhte der andere Spieler nach ihm ebenfalls. Er war kompakt gebaut und schweigsam, trug eine dunkle Brille, hinter der man schwer seine Reaktionen erkennen konnte. Trotz seiner großen Hände schob er flink seine Chips über den Tisch. »Ich erhöhe um viertausend«, sagte er und rückte zwei Stapel mit schwarzen Chips im Pot zurecht.

Die richtige Taktik, dachte Nordeschenko. Den dritten Spieler verdrängen – in diesem Fall ihn selbst. Doch Nordeschenko wollte sich nicht verdrängen lassen. Er hatte so ein Gefühl. An diesem Abend hatte er sich bisher immer auf sein Gefühl verlassen können. »Ich bin dabei.« Er stapelte acht schwarze Chips auf und schob sie in den Pot.

Der Geber drehte eine weitere Vier um. Jetzt war ein Paar dabei. Der Kerl, der auf einen Flush aus war, prüfte seine Karten. Der Kompakte machte den Einsatz. Weitere viertausend. Nordeschenko erhöhte wieder. Zu seiner Überraschung blieb Kaschmirjackett dabei.

Jetzt lagen mehr als vierzigtausend Dollar im Pot.
Der Geber drehte die letzte Karte um. Eine Kreuz-Sechs. Nordeschenko konnte nicht erkennen, wie sie irgendjemandem etwas nutzte, doch er erinnerte sich, dass zuvor schon einmal die Konstellation genauso gewesen war. Adrenalin pumpte durch sein Blut.
Der Mann mit dem Freund blähte die Wangen auf. »Achttausend!« Die wenigen Zuschauer murmelten. Was hatte er vor? Den ganzen Abend schon hatte er den Pot aufgeblasen. Jetzt warf er sein gutes Geld dem schlechten hinterher.
Der Kompakte sortierte seine Chips. Nordeschenko vermutete ein Paar bei ihm. Ein höheres Paar. Eindeutig hielt er seine Karten für die besten am Tisch. »Achttausend.« Er nickte, schichtete zwei gleiche Stapel mit jeweils acht Chips auf. »Und acht weitere.«
Jetzt wurde das Murmeln zu einem Keuchen. Nordeschenko hielt seine aneinandergelegten Hände an seine Lippen, bevor er kräftig den Atem ausstieß. Der Kompakte erwartete eindeutig, dass Nordeschenko einpackte. Und in neunzig Prozent der Fälle hätte er genau das getan. Er hatte genug eingeheimst. Warum sollte er alles zurückgeben?
Aber an diesem Abend spürte er seine Kraft. Bald würde er sein Leben aufs Spiel setzen. Alles Geld der Erde könnte dann bedeutungslos werden. Das gab ihm Freiheit. Abgesehen davon war er fast sicher, den Tisch richtig eingeschätzt zu haben.
»Sollen wir die Sache interessanter machen?«, fragte er. »Hier sind Ihre achttausend.« Er blickte zu Kaschmirjackett. »Und Ihre«, sagte er, nickte dem Mann mit Sonnenbrille zu und schichtete einen weiteren Stapel mit schwarzen Chips auf. Anschließend zog er eine Schau ab, indem er den Einsatz aufs Doppelte erhöhte. »Und weitere sechzehntausend.«
Diesmal war nicht einmal mehr ein Keuchen zu hören – nur Stille. Hunderttausend Dollar lagen in der Mitte des Tisches!
Nerven waren das, was einen auszeichnete, wenn man unter Beschuss geriet. Nerven und die Fähigkeit, eine Situation einzuschätzen. Sie zu riechen. Das war es, was ihn zum Besten seiner Zunft machte. Nordeschenko blickte auf die Sonnenbrille des Mannes. Unentschlossenheit? Angst?
Kaschmirjackett ließ sich nach hinten sinken und kam sich ganz sicher wie ein Idiot vor. Am besten warf er seine Karten ab, ohne sie zu zeigen und als völliger Depp dazustehen. »Adios«, verabschiedete er sich vom Spiel.
»Sie bluffen«, sagte der Kompakte und schluckte, während er Nordeschenko durch seine Sonnenbrille beobachtete.
Nordeschenko zuckte mit den Schultern. »Finden Sie’s heraus.« Er war sicher, dass der Mann nur die entsprechenden Chips in die Mitte zu schieben brauchte.
»Ich passe.« Der andere stöhnte und drehte seine Karten um. Zwei Sechser.
Nordeschenko drehte sein niedrigeres Paar um. »Sie hatten Recht.«
Jetzt wurden die Umstehenden wieder laut. Der Geber schob den Berg aus Chips zu Nordeschenko. Er hatte mehr als siebzigtausend Dollar gewonnen!
Aber nicht nur das – er hatte jeden Hinweis, jede Eigenart richtig gedeutet. Das war ein gutes Zeichen. Für morgen.
Morgen begann das echte Spiel.
Um zehn Uhr vormittags wurde Dominic Cavello mit Handschellen in den Gerichtssaal von Richter Robert Barnett geführt.
Er war von vier US-Marshals umringt, weitere standen entlang den Wänden. Dieser Termin diente der Beweisaufnahme. Cavellos Anwälte hatten einen Antrag gestellt, um alle Beweise zu den Morden an Manny Oliva und Ed Sinclair für unzulässig zu erklären. Doch sie wussten, der Richter würde diesen Antrag als das erkennen, was er war – eine Hinhaltetaktik.
Cavello trat wie immer großspurig auf, als er in den Saal geführt wurde. Er zwitscherte Joel Goldenberger ein fröhliches Hallo zu, fragte ihn, wie es ihm mit seiner Frau und seinen Kindern gehe. Zu einem der Wachmänner machte er eine Bemerkung über die Mets, was für eine tolle Mannschaft sie in diesem Jahr doch aufgestellt hätten. Als er mich hinten im Saal erblickte, zwinkerte er mir wie einem alten Freund zu. Er vermittelte das Bild eines Trottels, der hier wegen eines Verkehrsvergehens vorgeführt wurde, nicht das eines Menschen, der sich einer kurzen Unterbrechung seiner Isolationshaft in Marion erfreute, wo er höchstwahrscheinlich den Rest seines Lebens verbringen würde.
Die Tür zum Gerichtssaal wurde geöffnet, und Richter Barnett trat ein. Es hieß, mit ihm wäre nicht zu spaßen. An der Uni hatte er Football gespielt und in Vietnam als Kampfpilot gedient. Presse oder freier Zutritt oder die Mätzchen von Cavellos Anwälten waren ihm scheißegal.
Nach dem elften September hatte er in einigen Prozessen zum Heimatschutz den Vorsitz geführt und jedes Mal die zulässige Höchststrafe verhängt. Wir hätten keinen besseren Richter bekommen können.
Rasch bedeutete er den Anwesenden, sich zu setzen. »Ich habe mir die Anträge angesehen«, begann er und rückte seine dicke Brille zurecht, »und ich sehe im Antrag der Verteidigung keine Veranlassung, diesen Prozess noch länger zu vertagen. Mr. Cavello.«
»Euer Ehren.« Cavello erhob sich langsam, ohne eine Reaktion auf den Beschluss zu zeigen.
»Sie werden sich ab Montagmorgen zehn Uhr wegen der Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft zu verteidigen haben. Sie haben per Gesetz das Recht, bei der Auswahl Ihrer eigenen Geschworenen anwesend zu sein, die in diesem Gerichtssaal stattfinden wird. Doch dieses Verfahren wird völlig geheim ablaufen. Nach der Auswahl werden keine Namen bekannt gegeben. Die Geschworenen werden umgehend auf die Militärbasis von Fort Dix in New Jersey gebracht, wo, wie Sie bereits wissen, Ihre Verhandlung stattfinden wird. Sie, Mr. Cavello, werden ebenso wie die Geschworenen dort festgehalten. Die gesamte Verhandlung wird hinter verschlossenen Türen stattfinden.«
Richter Barnett blickte streng auf ihn hinab. »Und, Mr. Cavello –«
»Ja?«
»Ich warne Sie nur einmal. Bei der kleinsten Unterbrechung, und dabei reicht auch schon, dass Sie ein Glas Wasser umstoßen, werden Sie Ihren eigenen Prozess vom Gerichtsfernsehen aus beobachten. Haben Sie das verstanden?«
»Nicht mal im Traum würde ich daran denken, Euer Ehren«, antwortete Cavello.
»Das habe ich Sie nicht gefragt, Mr. Cavello«, entgegnete Richter Barnett mit scharfer Stimme. »Ich habe gefragt, ob Sie das verstanden haben.«
»Natürlich.« Cavello verbeugte sich respektvoll. »Völlig, Euer Ehren.«
Als das Telefon klingelte, erstarrte Monica Ann Romano auf dem Wohnzimmersofa. Sie wollte nicht rangehen. Sie wusste bereits, wer es war. Wer sonst rief Sonntagabend so spät noch an? Sie bildete sich ein, er würde verschwinden, wenn sie nicht reagierte. Alles würde so werden, wie es war, bevor sie den besten Sex ihres Lebens gehabt hatte.
Sie blieb sitzen und ließ das Telefon klingeln.
»Würdest du bitte rangehen!« Sie und ihre Mutter saßen vor dem Fernseher, und das Klingeln war lauter als der Ton.
Schließlich erhob sich Monica und wickelte beim Gehen die Schnur ab, bis sie im Flur angekommen war. Ihre Hände zitterten. »Hallo?«
»Hallo, meine Liebe.« Die Stimme am anderen Ende ließ ihr Blut gefrieren.
Wie hatte sie nur in dieses Chaos geraten können? Wie hatte sie nur so erbärmlich dumm sein können zu glauben, er wäre an ihr interessiert? Sie sollte zur Polizei gehen. Sie sollte einfach auflegen und sofort die Polizei anrufen. Sie würden es verstehen, und auf der Arbeit würde man ihr immer noch vertrauen. Wenn es nur nicht um ihre Mutter ginge, sagte sie sich immer wieder, würde sie es tun. Ja, dann würde sie es tun!
»Was willst du?«, fragte sie schroff.
»Vorher hast du dich gefreut, meine Stimme zu hören, Monica«, sagte der Anrufer. »Ich fühle mich verletzt. Was soll ich schon wollen? Ich will dasselbe wie du, Monica.
Ich will, dass ihr beide, du und deine Mutter, noch lange gesund und munter seid.«
»Spiel nicht mit mir«, blaffte Monica. »Sag mir einfach, was ich tun soll.«
»In Ordnung.« Er schien seinen Spaß zu haben. »Wie wär’s, wenn wir uns morgen früh, bevor du zur Arbeit gehst, auf einen Kaffee treffen? Das Café gleich auf der anderen Seite vom Platz, wo wir uns das erste Mal gesehen haben. Sagen wir Punkt acht. Dann kläre ich dich darüber auf, was passieren wird.«
»Das war’s dann aber«, verlangte Monica. Ihr Magen zog sich zusammen. »Du hast versprochen, dass es bei dieser einen Sache bleibt.«
»Wenn du ein braves Mädchen bist, wirst du nie wieder meine Stimme hören. Aber, Monica«, sagte Karl auf eine Art, wie man sonst mit Kindern redet, »komm nicht auf dumme Gedanken. Ich werde tun, was ich gesagt habe. Das verspreche ich. Wenn ich nicht darauf vertrauen würde, dass du ein braves Mädchen bist, würde ich es genau jetzt tun. Geh mal ins Wohnzimmer zurück. Na geh schon.«
Monica rannte ins Wohnzimmer, wo ihre Mutter vor dem Fernseher saß.
Ein Licht leuchtete durchs Fenster. Scheinwerfer. Dann ertönte dreimal hintereinander eine Hupe. Monica zitterte so heftig, dass sie glaubte, ihre Knochen klappern zu hören.
Für den Montagmorgen wurden die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die ich für eine Gerichtsverhandlung je gesehen hatte. Der Pate, Teil 2.
Es war mehr eine Machtdemonstration der Polizei. Dutzende von Beamten, einige in Kampfausrüstung, standen mit Automatikwaffen an den Absperrungen rund um den Foley Square. Die Reihe der potenziellen Geschworenen erstreckte sich bis vor die Tür, Polizisten patrouillierten auf und ab, prüften Ausweise, öffneten Taschen, führten Sprengstoffhunde an den Wartenden vorbei. Entlang der Worth Street standen etwa ein Dutzend Fernsehübertragungswagen.
Alles lief nach Plan und entsprach genau meinen Vorstellungen. Doch angesichts der mehreren parallel verlaufenden Gerichtsverhandlungen und der vielen Anwälte, Zeugen, Geschworenen und Mitarbeiter gab es tausend Dinge, die schief laufen konnten.
Automatisch warf ich einen Blick ins Sicherheitsbüro des Gerichts, das im Erdgeschoss lag. Sicherheitsbeamte starrten auf Monitore, mit denen sie alle Stockwerke im Blick hatten. Eingänge, Fahrstühle, die Parkgarage im Untergeschoss und die Flure, über die Cavello vom und zum ManhattanBezirksgefängnis gebracht werden würde. Ich versuchte mir einzureden, dass nichts passieren würde. Alles würde laufen wie geplant.
Ich war auf dem Weg zurück zum Gerichtssaal, als ich in der Eingangshalle meinen Namen hörte. »Nick! Nick!«
Es war Andie, die von zwei Wachen zurückgehalten wurde. Sie winkte. »Nick, die lassen mich nicht rein.«
Ich ging zum Eingang. »Ist in Ordnung«, sagte ich den Wachen und zeigte meinen Ausweis. »Ich übernehme die Verantwortung. Sie gehört zu mir.«
Ich zog sie durch den Menschenpulk. »Sie hatten Recht. Ich muss dabei sein, Nick. Ich konnte nicht wegbleiben. Wenn nicht meinetwegen, dann wegen Jarrod.«
»Sie brauchen das nicht zu erklären, Andie. Kommen Sie einfach mit.«
Ich führte sie in einen der Fahrstühle, wo ich den Knopf für den siebten Stock drückte. Wir waren nicht alleine – ein paar Anwälte, eine Gerichtsstenografin. Die Fahrt dauerte unendlich lange. Ich drückte Andies Hand. »Hmm«, machte sie. Mehr nicht.
Als sich die Türen im siebten Stock endlich öffneten, zog ich Andie zur Seite und ließ die anderen vorgehen. Dann nahm ich sie in die Arme, wie ich es schon neulich abends hatte tun wollen. Beinahe hätte ich sie sogar geküsst. Es erforderte Mut, hier zu sein. Hier aufzutauchen. Und jetzt spürte ich, wie ihr Herz gegen meine Brust schlug. »Ich bin so froh, dass Sie hier sind, Andie.«
Ich zeigte einem Wachmann, der vor dem Gerichtssaal stand, meinen Ausweis. Der Saal war noch fast leer. Ein paar Marshals plauderten miteinander, ein junger Assistent der Staatsanwaltschaft legte Formulare auf die Tische der Anwälte.
Plötzlich verzog Andie ängstlich ihr Gesicht. »Jetzt, wo ich hier bin, weiß ich nicht, ob ich das schaffe.«
»Wir bleiben da hinten«, beruhigte ich sie und ging mit ihr in die letzte Reihe der Zuschauerplätze. »Wenn er reinkommt, sind wir zusammen. Vielleicht winken wir sogar.«
»Ja, oder zeigen ihm den Mittelfinger.«
Ich drückte ihre Hand. »Es wird nichts passieren. Die Beweise sind noch stichhaltiger als vorher. Er wird bald eintreffen, und wir werden zwölf Personen auswählen. Dann werden wir ihn einsperren bis zu dem Tag, an dem er stirbt.«
Monica Ann Romano glaubte zu wissen, was das kleine Päckchen enthielt, das er ihr gegeben hatte, und bei dem Gedanken musste sie sich beinahe übergeben.
Sie hatte es von dem Mann entgegen genommen, dem sie einmal vertraut hatte. Jetzt ging sie nervös über den Platz und zeigte an den Absperrungen auf dem Weg zum Gericht ihren Ausweis. Es war die nervenaufreibendste Sache, die sie je in ihrem Leben getan hatte. Bei weitem.
Schließlich stellte sie sich in die Schlange der Mitarbeiter. Jede Tasche wurde geöffnet. Auch die der Anwälte und ihrer Assistenten. Monica wusste, wer an diesem Tag im Gericht war: Dominic Cavello.
»Heute ist mächtig was los«, säuselte Mike, ein Wachmann mit riesigem Schnurrbart, der Monica in der Eingangshalle durch die Menschentraube zu der Schlange führte, die speziellem Personal vorbehalten war.
»M-hm.« Monica nickte nervös und grüßte einige vertraute Gesichter mit einem Lächeln.
Der Typ vor ihr, ein Anwalt mit Bart und langem Haar, öffnete seinen Aktenkoffer. Monica war die Nächste. Pablo, der sie immer wegen der Mets aufzog, lächelte, als er sie erblickte. Ihr Herz schlug bis zum Hals, das Päckchen in ihrer Tasche schien sie nach unten zu ziehen. Was war, wenn er es sich genauer ansehen wollte?
Der Anwalt vor ihr schloss seinen Koffer und ging weiter. Jetzt gab es nur noch sie und Pablo. Konnte er ihr Herz schlagen hören? Ohne zu atmen trat sie an die Absperrung.
»Wie war dein Wochenende?« Pablo spähte oberflächlich in ihre Handtasche. »Hast du das Spiel der Mets gesehen?« »Klar.« Monica nickte und schloss die Augen, weil sie erwartete, dass gleich ein Alarm lospiepsen würde. Das Signal für das Ende ihres Lebens.
Es piepste nicht. Nichts passierte. Sie ging weiter. Genauso wie an den anderen Tagen. Erleichtert atmete sie auf. Gott sei Dank.
»Wir sehen uns zum Mittagessen«, sagte Pablo. Sie war schon weitergegangen, als er ihr noch einmal hinterherrief: »Hey, Monica.«
Monica Ann Romano erstarrte, bevor sie sich langsam umdrehte.
Pablo blinzelte ihr zu. »Schicker Hut.«
Der Anwalt und der Staatsanwalt hielten sich bereits im Gerichtssaal auf, ebenso wie Cavello. Richter Barnett blickte auf die nervöse Gruppe der potenziellen Geschworenen, die hereingeführt worden waren. »Ich bezweifle, dass irgendjemand hier im Saal nicht weiß, warum wir hier sind«, begann er.
Alle Geschworenen hatten eine Nummer erhalten, und alle Augen schienen auf den hageren, grauhaarigen Mann gerichtet zu sein, der mit überkreuzten Beinen vor ihnen saß. Dann blickten sie zur Seite, als hätten sie Angst, ihn allzu lange anzusehen. Das ist Cavello, schienen ihre Blicke zu sagen.
Ich drehte mich zu Andie, die kurz zuvor hatte zusehen müssen, wie das Schwein hereingeführt worden war. Cavellos Handschellen waren abgenommen worden, dann hatte er sich im Gerichtssaal umgeblickt. Er schien Andie sofort entdeckt zu haben, als hätte er gewusst, dass sie hier war. Respektvoll hatte er ihr zugenickt.
Doch sie hatte seinem Blick standgehalten. Sie schien ihm sagen zu wollen: Du kannst mir nicht mehr wehtun. Sie wollte ihm nicht die Freude gönnen, vor ihm zurückzuschrecken. Sie umklammerte das Geländer mit ihren Händen, bis sie schließlich den Blick senkte. Als sie ihn wieder hob, ließ sie ihn zu mir wandern, und ein leichtes Lächeln zog über ihr Gesicht. Mit mir ist alles in Ordnung. Mir geht es gut – für ihn aber ist es aus.
»Ich bezweifle auch, dass irgendjemand von Ihnen hier sein möchte«, fuhr Richter Barnett fort. »Einige von Ihnen haben vielleicht das Gefühl, nicht hierher zu gehören. Einige haben vielleicht sogar Angst. Aber eins müssen Sie sich vor Augen halten: Wenn Sie gewählt werden, ist es Ihre gesetzliche und moralische Pflicht, an der Verhandlung teilzunehmen. Zwölf von Ihnen werden als Geschworene dienen – und sechs weitere als Ersatz. Meine Pflicht hingegen ist es, Ihnen die Angst und das Unbehagen angesichts des letzten Prozesses des Angeklagten zu nehmen.
Aus diesem Grund werden Ihre Namen und Adressen sowie Informationen über Ihre Familie oder Ihre Tätigkeit nicht bekannt gegeben – nicht einmal den Mitgliedern dieses Gerichts. Die gewählten Geschworenen werden die nächsten sechs bis acht Wochen in der Militärbasis Fort Dix in New Jersey, wo der Prozess stattfindet, eingesperrt.
Ich weiß, niemand ist scharf darauf, sein Leben hinter sich zu lassen und so lange Zeit von Familie und Freunden getrennt zu sein. Aber der Angeklagte muss vor Gericht gestellt werden – das ist unsere einzige Pflicht. Es wird eine Jury ausgewählt, und er wird vor Gericht gestellt. Wer sich weigert, seine oder ihre Pflicht zu erfüllen, wird wegen Missachtung des Gerichts belangt.«
Der Richter nickte seinem Gerichtsdiener zu. »So, gibt es hier jemanden im Gerichtssaal, der oder die meint, aufgrund besonderer Umstände oder einer Behinderung nicht seine Pflicht erfüllen zu können?«
Praktisch alle Hände schnellten gleichzeitig in die Höhe.
Fast alle anderen Anwesenden mussten ein Lachen unterdrücken. Selbst Cavello lächelte.
Die Geschworenen wurden der Reihe nach an den Richtertisch gerufen. Alleinerziehende Mütter. Inhaber von kleinen Unternehmen. Leute, die anführten, schon ihren Urlaub bezahlt zu haben, oder ein ärztliches Attest vorlegen konnten. Ein paar Anwälte, die behaupteten, sie müssten per se freigestellt werden.
Doch Richter Barnett blieb hart. Ein paar ließ er gehen, die diskret die Fäuste ballend oder breit grinsend den Gerichtssaal verließen. Andere kehrten bedrückt auf ihre Plätze zurück.
Schließlich blieben noch einhundertfünfzig Personen, von denen keiner sehr erfreut aussah.
Cavello würdigte sie keines Blickes. Er trommelte, stur geradeaus starrend, mit den Fingern auf dem Tisch. Ständig musste ich an die Worte denken, die er mir am Tag, als der Geschworenenbus in die Luft geflogen war, aus seiner Gefängniszelle hinterher gerufen hatte.
»Ich werde heute Nacht schlafen wie ein Baby … Zum ersten Mal seit einem Monat brauche ich mir wegen dieser dämlichen Verhandlung keine Sorgen zu machen.«
»Mr. Goldenberger, Mr. Kaskel«, sprach der Richter die beiden Anwälte an. »Ich bin sicher, Sie möchten diesen tapferen Menschen ein paar Fragen stellen.«

Patterson James
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